Rock'n'Roll in London

28.9.2004, Bloomsbury Theatre: Ray Davies zwischen Neu und Alt

Ray Davies in London, Foto: Ellie WildeKünstler wie Ray Davies haben es schwer. Zum einen erwarten Teile des Publikums die immerwährende Wiederholung altbekannter Hits und zum anderen erfordert es der eigene künstlerische Anspruch, nicht stehen zu bleiben. An diesen differierenden Forderungen sind schon viele gescheitert, und auch Ray Davies und die Kinks bewegten sich oft auf der Grenze zwischen Oldie-Revival und Erneuerung. Allerdings spielten sie meist auch neue Songs von neuen Alben und erst 1995 und 1996 drohte es endgültig umzukippen, es gab fast nur noch Oldies. Dass die Band danach jedoch auseinanderging, war nur konsequent. Ray Davies wollte nicht stehenbleiben. Allerdings drohte ihm das erneute Schicksal, als er mehr als sechs Jahre mit seinem "Storyteller"-Programm durch die Lande zog, dabei zwar den Titel und die Songs zuweilen änderte, sich letztlich aber auch kaum weiterentwickelte. Neue Klänge gab es nur zwischendurch, als er gemeinsam mit Yo La Tengo spielte, neue Songs vorstellte und dabei frisch und unverbraucht klang. Danach dauerte es wieder zwei Jahre, bis er eine Band zusammen bekam, die seinen Ansprüchen genügte. Bis heute -- mehr als vier Jahre nach den drei New Yorker Konzerten und sechs nach der ersten Ankündigung -- hat er es immer noch nicht auf ein Solo-Album gebracht. Ray Davies steckt weiterhin in dem Dilemma zwischen Neu und Alt, und er scheint es auch kaum noch Lösen zu können, wie die verzwickte Soloalben-Geschichte zeigt. Allerdings: Bei den aktuellen Konzerten in London zog er sich gut aus der Affäre.

Ray Davies hat sein Programm geändert. Während er bislang mit einer Reihe an akustischen Stücken begann und dann erst den zweiten Gitaristen (Mark Johns) sowie den Rest der Band (am Schlagzeug Toby Baron und am Bass Dick Nolan) einsetzte, beginnt er jetzt gleich rockig. Mit einer interessanten Idee: Er startet alleine an der elektischen Stratocaster, begleitet nur von Drummer Baron und er gibt eine neue Bearbeitung von "I'm Not Like Everybody Else" zum besten. Sie führt schon fast das ganze Dilemma "Alt und Neu" vor. Der Song klingt neu und frisch, die Besetzung erinnert an die White Stripes, das Lied ist aber fast 40 Jahre alt. Aber das zeigt die Klasse des Songs und der anderen alten Kinks-Hits, die zum Teil ebenfalls neu bearbeitet wurden und damit von der Stärke des Songschreibers Ray Davies zeugen. Nachdem im Verlauf des ersten Stücks bereits der Rest der Band einsteigt, rockt das zweite Stück richtig ab: "The Hard Way" ist wieder im Programm und auch dieser Song, in den 80ern Prototyp des abgenudelten Stadion-Rocks der Band, klingt nicht nur durch die jüngere Band frisch.

Bereits zu Beginn traute sich Davies an neuere Stücke. "After The Fall" debütierte bereits vor zwei Jahren, ist nun aber zum Rocksong ausgewachsen und klingt mit der immer erstklassigen Schlagzeug-Begleitung von Baron sowie dem exzellenten Gitarrenspiel von Johns noch besser als damals. Folgen lässt Davies ein weiteres Stück, das so noch nicht zu hören war "Yours Truly Confused N10" gab es bislang nur mit Big-Band-Begleitung durch Jools Holland und Co., nun soll es als Rock-Stück herhalten. Zumindest am ersten Londoner Abend im Bloomsbury Theatre klappte das noch nicht, es fehlte an Bläserm und ein Keyboard. Man könnte es aber auch einfach anders bearbeiten.

Erst an fünfter Stelle im Programm gab es den ersten Hit: "Autumn Almanac" animierte zum Mitsingen (was Davies hier bei weitem nicht so forderte wie zuletzt in Belgien). Es blieb nicht bei populären Songs, denn es folgte sogleich die Definition von Kult als einem anderes Wort für "nicht erfolgreich". Davies startete seine "Village Green"-Sektion mit dem gleichnamigen Song, "Picture Book" und "Animal Farm" -- mit der Westerngitarre. Zwar verspielte sich Davies zu Beginn, aber besser als die nur zur Rhythmus-Begleitung geeignete Ovation-Gitarre klingt sie allemal. Besonders bei "Celluloid Heroes" wurde das deutlich, wobei sich bei diesen langsameren Stücken auch zeigte, wie gut Davies Stimme momentan ist.

Ray Davies in Liverpool, 24.9.2004, Foto: Ellie WildeNach "Sunny Afternoon" (es wurde wieder kräftig mitgesungen), "Dead End Street" (Davies: "Einer meiner Protest-Songs") und "Dedicated Follower Of Fashion" folgten wieder die schon vor zwei Jahren gespielten vier aktuellen unveröffentlichen Stück in Folge. Allerdings ist auch die neue Version von "Dead End Street" eine Erwähnung wert. Auch hier zeigt sich, dass die Kinks-Songs von so großer Klasse sind, dass sie in verschiedenen Gewändern gut klingen. Bei diesem Song wurde das Duo Johns/Davies nach einer Weile wieder von der Rhythmus-Sektion begleitet.

"Next Door Neighbours" wunderschön und intensiv und "Creatures Of Little Faith" wie immer etwas zu nah an der Kitschgrenze. "Stand Up Comic" war neben dem Opener erneut das Highlight der ganzen Show, ein Ray Davies nicht nur vom Gesang her in Bestform. Der Schauspieler kommt hier durch -- man wäre auf ein Video gespannt. "The Morning After" beschloss wie zumeist den ersten, den experimentelleren Teil. Mittlerweile ist es ein fast völlig zerlegter Noise-Rock-Song im Stile von Yo La Tengo geworden, wie bei den New Yorkern schimmern aber immer noch Strukturen des Songs durch. Hier ist Davies gegenwärtig, hier zeigt er den Einfluss der modernen Musik auf sein Wirken. Das ist nicht immer einfach und so gönnte er dem Publikum erst einmal eine Pause. Auch er braucht sie vermutlich, auch wenn von seiner Schussverletzung, wegen der die Konzerte um ein halbes Jahr verschoben worden waren, kaum etwas zu sehen war. Allerdings gab es nur bei "All Day And All Of The Night" im zweiten Teil einen Sprung wie früher.

Wesentlich stärker in der Vergangenheit behaftet war Teil zwei der Show. Immerhin waren mit "London Song" und "To The Bone" zwei Songs aus den 90ern dabei, aber ansonsten blieb Davies zwischen 1964 und 1971. Highlights waren erneut die Neubearbeitung von "Where Have All The Good Times Gone" bei der Davies selbst etwas gegen das Mitgröhlen der Fans unternimmt, das er ansonsten zu oft provozierte. Selbst wenn man die Bearbeitung kennt, verfällt man leicht in den Versuch, den Refrain mitzusingen. Die Strophen klingen wie immer, hart und rockig, aber das "Won't you tell me..." gibt es dann ganz zart und zurückgenommen sowie mit etwas verspätetem Einsatz.

Hart geht es auch zu in diesem zweiten Teil, vor allem bei "Victoria", "20th Century Man" und "All Day And All Of The Night". So rockig wie diese Stücke gespielt wurden, kam man sich in den Sesseln des Bloomsbury Theatres fehl am Platze vor. Mark Johns zeigte hier sein exzellentes Spiel. Er durfte zwar weniger Solis spielen, als vor zwei Jahren. Dort wo er sie aber dann anbrachte, dort verliehen sie den Songs einen neuen Klang. So fehlt Dave Davies' Gitarre nicht unbedingt, aber Mark Johns Spiel ist ein gänzlich anderes. Der kleine Bruder fehlt hingegen vor allem beim Gesang. Wie immer wird dies besonders bei "Waterloo Sunset" deutlich. Die zweite Stimme benötigt kaum ein Song so sehr wie Davies' Meisterwerk, das zuletzt von Radiohörern zum besten Song über London gewählt wuerde. Aber auch Days, die zweite Zugabe, könnte einen Background-Gesang durchaus vertragen. Aber seine Band lässt Davies nicht mitsingen, auch wenn zumindest Nolan und Baron in früheren Bands bereis gesungen haben.

Ray Davies in Liverpool, 24.10.2004, Foto: Ellie WildeZwei Stücke, zum einen der Abschluss des eigentlichen Sets und zum anderen der letzte Song, machen dann wiederum das Dilemma von Davies deutlich. Erst beim bluesigen "You Really Got Me" geht das Publikum richtig mit, erhebt sich von den Plätzen und Davies animiert zum Mitsingen. Highlight für viele ist das "Lola", dem Davies wohl mit Absicht kein neues Gesicht verpasst. Dabei könnte das ausgeleierte Arrangement, das bereits auf "One For The Road" zu hören ist, eine Überarbeitung gut gebrauchen. Davies würde sich vielleicht auch wieder einmal konzentrieren, denn peinlicherweise hatte er dieses Mal die erste Strophe völlig verhauen. Dennoch wird der Großteil des Publikums zufriedengestellt, und Davies dürfte so jeden Abend zweifeln, ob denn das Solo-Album wirklich so gut wird. Das Publikum geht regelmäßig erst im zweiten, im Oldie-Teil aus sich heraus (wozu auch die Bestuhlung üihr übriges tut). Sinnvoll wäre vielleicht noch ein neues Stück als Zugabe, das würde die Mischung von Neu und Alt besser abrunden und gerade "Stand Up Comic" würde sich mit seiner Klasse anbieten. Schließlich feierten viele Zuhörer auch diesen Song zu recht.

Ob Davies sich aus dem Dilemma befreien kann, in dem er steckt, bleibt auch nach der neuen Tournee unklar. Deutlich ist allerdings geworden, dass auch ein Sechzigjähriger noch hart rocken kann, das die neuen Stücke größtenteils erstklassig sind und ein Solo-Album mehr als begrüßenswert wäre. Dass Davies diesmal nicht davon sprach, ist möglicherweise ein gutes Zeichen. Aber es bleibt wie immer bei ihm nichts anderes übrig, als abzuwarten. Seine Konzerte machen zumindest immer noch viel Spaß -- ihm und dem Publikum!

Links
Setlisten in der Konzert-Sektion
Guardian Review
Daily Telegraph Review
Independent Review
whykinks: Bilder und mehr aus Oslo


Text: Helge Buttkereit
Fotos: Ellie Wilde
(Seite aktualisiert: 10.10.2004)